
Ein zeitloses Ideal trägt unseren Bund seit über 100 Jahren.
Unser wertvollstes Gut ist der Nerother Wandervogel. Ein Jungenbund, in dem heute über 200 Jungen im Alter von 10 bis 25 Jahren aktiv sind. Der Jungenbund, über den wir im Bereich Bundesleben heute genauer berichten, ist dabei eingegliedert in den gemeinnützigen Verein „Nerother Wandervogel e.V.“. Dieser eingetragene Verein wiederum zählt rund 1.000 Mitglieder und ist unter anderem der Vermögensträger für den Jungenbund.
Viel wichtiger als diese organisatorischen Eckdaten sind die inhaltlichen Wurzeln, auf die der Nerother Wandervogel mit seinem aktiven Leben gründet. So außergewöhnlich die erlebnisreichen Fahrten in nahe und ferne Gegenden wie auch der sehr individuelle Gesang und der Bau an der eigenen Nerother-Burg bis heute sind, so weit reichen doch die Ursprünge des Bundes zurück und unverrückbare Werte haben bereits Generationen von Nerothern geprägt.
Im Jahre 1921 wurde der Nerother-Bund auf der Burg Drachenfels gegründet, nachdem die Zwillingsbrüder Robert und Karl Oelbermann 1919 in einer Höhle im namensgebenden Ort Neroth in der Eifel den Bund der Nerommen gemeinsam mit einer Handvoll Gefährten aus der Taufe gehoben hatten. Beide waren zuvor bereits in anderen Wandervogel-Bünden aktiv gewesen, die seit der Wende zum 20. Jahrhundert einem Ideal folgten, das im Gegensatz zu den allgemein verbreiteten Vorbildern der Kaiserzeit der Romantik nachhing und die Jugendzeit als eigenständige Lebensphase betrachtete, die nicht nur der Hinführung zum Erwachsensein diente. Das Leben und Wandern in freier Natur waren damals bereits wesentliche Merkmale, ebenso wie Gesang und Gitarren- bzw. damals vor allem noch Lautenspiel.
Die Bundesidee des Nerother Wandervogel fügte diesem Ideal nun unter anderem den Gedanken einer Burg als zentralem Ort für Gestaltung und Zusammenkunft hinzu, ebenso wie sie die Gruppen nicht nach regionalen Gesichtspunkten ordnete. Vielmehr sollten sich in den sogenannten Orden Gruppen zusammenfinden, die inhaltliche Werte miteinander verbanden wie z.B. ein musischer Schwerpunkt oder die besondere Wertschätzung für das Vagantentum oder den fahrenden Scholaren des Mittelalters.
In der Praxis fand der Nerother Wandervogel in der Folge mit der Burg Waldeck nahe Dorweiler im Hunsrück den gesuchten Bundesmittelpunkt. Parallel wirkten immer längere Auslandsfahren stilprägend. Dabei wurden die notwendigen Finanzmittel regelmäßig unterwegs durch Konzerte und Theaterspiel erwirtschaftet. In der Heimat, auf dem Gelände der Burg Waldeck, war dagegen die Landwirtschaft hauptsächliche Lebensgrundlage der Nerother. Man hatte nicht viel, und doch alles, was notwendig war für eine zufriedene Existenz und einen wachsenden Bund.
Das Glück war freilich nur von kurzer Dauer, denn mit der NS-Diktatur wurde auch der Nerother Wandervogel zugunsten der Staatsjugend aufgelöst. Robert Oelbermann, erster Bundesführer der Nerother, starb 1941 im Konzentrationslager Dachau, während sein Bruder Karl den Krieg im afrikanischen Exil überstand.
Erst 1951 kehrte Karl nach Deutschland zurück und musste dann feststellen, dass das Jugendburggelände der Waldeck inzwischen von einer Gruppe Erwachsener besetzt war, die mit der Idee der Nerother nur wenig gemeinsam hatte, und das Gelände dem Nerother-Bund bis heute nicht zurückgab. Zugleich gab es aber auch schon wieder intakte Nerother-Gruppen, die zu dieser Zeit vor allem im Saarland zu finden waren.
Unterstützt von dem dort tonangebenden Arzt Dr. Wilhelm Sell und in der Verpflichtung auf die mit seinem Zwillingsbruder Robert entwickelte Idee, machte sich Karl Oelbermann als zweiter Bundesführer an den Wiederaufbau des Nerother Wandervogel. Zumindest einen Teil des Geländes der Burg Waldeck holten sich die Nerother zurück, und bis zu seinem Tod 1974 führte Karl vor allem auch durch seine persönlich gewinnende Art den Bund zu einer neuen Blüte und ermöglichte vielen jungen Menschen eine Zeit, die sie oft für ihr ganzes Leben prägte. Neben dem Gemeinschaftserlebnis bei Burgbau und Gesang waren es dabei erneut die langen Auslandsfahrten, die regelmäßig ganze Sommer- und Semesterferien oder noch länger dauerten, die den Jungen eine Schule fürs Leben waren.
Mit dem damals 33-jährigen Fritz-Martin Schulz wurde nach Karls Tod ein Nachfolger als Bundesführer gewählt, der den Bund in den darauffolgenden Jahrzehnten mit eigenen Akzenten prägte, die Nerother-Tradition dabei aber pflegte. Wie seine Vorgänger, zog der nur FM gerufene Fritz-Martin auf die Burg Waldeck und verzichtete auf Familie und ein bürgerliches Leben, um sich ganz dem Bund und seiner Gestaltung zu widmen. Dabei entdeckte er vor allem Nordamerika und den „Wilden Westen“ als Fahrtenland für die Nerother und führte mehr als 30 Bundesfahrten in die „Neue Welt“ von Mexico bis hoch nach Alaska.
Kurz vor seinem 50. Jahr als Bundesführer und seinem 82. Geburtstag verstarb FM Schulz 2023 und die Versammlung der stimmberechtigten Mitglieder wählte Dr. Jörg Möller, einen pensionierten Schulleiter, als seinen Nachfolger.
Wie seine Vorgänger hat auch Jörg seinen Wohnsitz auf Burg Waldeck eingenommen und prägt die aktuelle Generation der jungen Nerother. Der weitere Ausbau der Burg Waldeck – erklärtes Ziel ist, dass sie niemals fertiggestellt wird – bleibt dabei zentrale Aufgabe des Bundes wie auch außergewöhnliche Fahrten und herausragender Gesang oft eigener Lieder weiter zum Wesenskern gehören.
Ob es den Nerother Wandervogel auch nach weiteren 100 Jahren noch gibt, wissen wir nicht. Wir sind aber überzeugt, dass es sich lohnt alles dafür einzusetzen, damit weitere Generationen von Jungen bei den Nerothern eine Gemeinschaft erleben, die in jeglicher Hinsicht einzigartig ist.